Essstörungen

Die Illusion der Kontrolle

Von Helene Fuchs · 2014

Tausende Menschen leiden unter einer Essstörung. Manche haben regelrecht Angst vor jeder einzelnen Kalorie, andere werden mehrmals täglich von Fressattacken heimgesucht. Was Betroffene brauchen, ist professionelle Unterstützung. Hier lohnt sich auch ein Blick in unser Nachbarland.

In Deutschland zeigen rund ein Fünftel aller Kinder und Jugendlichen im Alter von elf bis 17 Jahren Symptome einer Essstörung, vor allem der Magersucht, so das Ergebnis einer Studie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Mädchen sind dabei viel häufiger betroffen als Jungen, wobei in den letzten Jahren eine Zunahme an männlichen Patienten zu verzeichnen ist. Zu einer Essstörung zählen Mediziner Magersucht, Bulimie und die sogenannte „Binge-Eating-Störung“. Was überrascht: Von unseren Schweizer Nachbarn leiden viele an einer Ess­störung. Laut der Studie „Prävalenz von Essstörungen in der Schweiz“ sind es immerhin 3,5 Prozent der Bevölkerung – das sind 0,5 Prozent über dem europäischen Durchschnitt. Experten vermuten, dass sich der Druck, schlank zu sein, in den letzten zehn Jahren noch verstärkt hat, denn „schlank“ heißt heute verstärkt auch „gesund“ – ein gefährlicher Trugschluss. Essstörungen sind aber meist eine Flucht vor tiefer liegenden seelischen Problemen. So kann der Verlust eines geliebten Menschen, familiäre Probleme oder sexueller Missbrauch die gesunde Einstellung zum Essen aus dem Gleichgewicht bringen.

Verzerrtes Körperbild bei Magersucht

Frauen, die an einer Magersucht (Anorexia nervosa) leiden, haben regelrecht Angst vor Kalorien und eine völlig falsche Wahrnehmung ihres eigenen Körpers. Egal, wie dünn sie sind, beim Blick in den Spiegel denken sie: „Ich bin dick und unförmig“. Verheerende Folge: Sie hungern weiter. Neben dem niedrigen Körpergewicht (alarmierend ist bereits ein Body-Maß-Index unter 17,5), der Angst vor Gewichtszunahme sowie dem verzerrten Körperbild ist bei Mädchen und Frauen die ausbleibende Menstruation und bei Jungen der Verlust der Potenz ein Warnsignal.

Bei vielen Betroffenen kommt Sportsucht hinzu sowie der Missbrauch von Abführ- und Entwässerungsmitteln. Die Magersucht ist im jungen Erwachsenen-Alter immer noch die psychische Krankheit mit der höchsten Sterberate. Die langfristigen Auswirkungen des Hungerns auf die Gesundheit sind enorm. Dazu gehören Herz-Kreislauf-Störungen, Nierenschäden, Osteoporose und ­Erkrankungen im ­Magen-Darm-Bereich. Begleitet werden die ­Alarmsignale des Körpers oft von psychischen Veränderungen wie Depressionen oder selbstverletzendem Verhalten.

Magersucht ist bei jungen Menschen die psychische Erkrankung mit der höchsten Sterberate.

Eine Pille gegen Bulimie gibt es nicht

Betroffene sollten sich möglichst früh an Fachärzte und Spezialkliniken wenden, um nicht weiter in die Magersucht oder Bulimie zu rutschen. Vom jeweiligen Einzelfall hängt es ab, ob eine Therapie ambulant oder stationär erfolgt. Laut Angaben des Bayerischen ­Landesamts für Statistik werden jedoch immer mehr Essgestörte in Krankenhäusern behandelt: Im Jahr 2012 waren 2.891 Patienten mit psychisch bedingten Ess­störungen in bayerischen Krankenhäusern, zwölf Prozent mehr als im Jahr zuvor. Unter den Patienten befanden sich zum Großteil Frauen (93,1 Prozent) im Alter zwischen 15 und 30 Jahren. Gut zu wissen: Der Schulterschluss zwischen deutschen und schweizer Institu­tionen funktioniert gut, und wer grenznah wohnt, sollte durchaus auch Angebote in der benachbarten Schweiz in Erwägung ziehen.

Wichtigster Baustein in der Therapie sind psychotherapeutische Einzel- oder Gruppen­gespräche, in denen unter anderem die Persönlichkeit gestärkt und die seelischen Auslöser für die Krankheit herausgearbeitet werden. Begleitet werden sie durch Ernährungsberatung. Bei der Behandlung von Bulimie geht es vor allem darum, dass Betroffene wieder lernen, sich ausgewogen zu ernähren, Rhythmus in die Nahrungsaufnahme zu bringen sowie symptomatische Verhaltensweisen abzustreifen.

Essstörungen sind eine ernstzunehmende psychische Erkrankung, und die Gefahr eines Rückfalls ist nicht zu unterschätzen. Der Weg zurück zu einem gesunden Essverhalten ist nicht einfach, aber machbar.

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